Guten Morgen {{vorname}}
Eine Triggerwarnung:
Im heutigen 6iBrief geht es um Rassismus und Polizeigewalt. Wir sprechen über den Fall von Roger «Nzoy» Wilhelm sowie die Lausanner Polizei, bei der Chats mit diskriminierenden Nachrichten aufgetaucht sind.
Diskriminierung · Zehn Prozent der Polizist:innen betroffen
Chat-Skandal bei Lausanner Polizei
Am Montag trat die gesamte Lausanner Exekutive vor die Medien. Sie hätten am 15. August Kenntnis von diskriminierenden Nachrichten und Fotos erhalten, die von aktuellen und ehemaligen Lausanner Polizist:innen ausgetauscht worden seien, schreibt RTS.
Der zuständige Stadtrat Pierre-Antoine Hildbrand berichtet von rassistischen und sexistischen Witzen, homophoben Äusserungen, Verherrlichung des Nationalsozialismus oder des Ku-Klux-Klans sowie Verhöhnungen von Menschen mit Behinderungen.
Etwa zehn Prozent des Lausanner Polizeikorps, also insgesamt 501 Polizist:innen, hätten diese Nachrichten gesehen, ohne ihre Vorgesetzten zu informieren, wird er im Blick zitiert. Diese Zahl variiert stark von der Berichterstattung von SRF, wo von 48 involvierten Polizist:innen die Rede ist. Klar ist jedoch, es ist ein systematisches Problem.
Vier der beteiligten Polizist:innen seien bereits suspendiert, weitere sollen folgen. Die Stadtverwaltung möchte nun «eine grundlegende Reform» herbeiführen. Gemäss Stadtpräsidenten Grégoire Junod gibt es «ein Problem der systemischen Diskriminierung». Er habe angedeutet, dass eines Tages noch andere Elemente ans Licht kommen könnten, auch wenn es noch «zu früh» sei, um mehr zu sagen, schreibt der Blick.
Gemäss SRF habe die Stadtregierung aber auch klar gemacht, dass man nicht alle involvierten Polizist:innen suspendieren könne, da sonst der Polizeikorps zusammenbreche. Es seien also auch Polizist:innen in verantwortungsvollen Positionen involviert gewesen.
Ebenfalls Lausanner Polizei · Zweiter Unfall im Sommer
17-Jähriger stirbt bei Polizeiverfolgung – Medien konzentrieren sich auf Jugendproteste
Am frühen Sonntagmorgen kam ein 17-jähriger schwarzer Jugendlicher bei der Flucht vor der Polizei ums Leben. Er sei mit dem Roller, der zuvor als gestohlen gemeldet worden war, gegen eine Mauer geprallt, dies berichten unter anderem die Tamedia-Zeitungen.
Es ist das zweite Mal diesen Sommer. Bereits im Juni starb eine 14-Jährige an ihren Verletzungen, nachdem sie mit dem Motorrad vor der Polizei geflüchtet und verunfallt war.
Nach dem Vorfall kam es in Lausanne zu Protesten von Jugendlichen, worauf sich interessanterweise viele der Medien fokussierten. So interviewt etwa 20 Minuten einen Experten zu Jugendkriminalität, der einordnet, es handle sich um Erlebnisgewalt. «Ein trauriges Ereignis wird von Jugendlichen genutzt, um die Polizei zu provozieren und sich mit ihr zu messen.»
Auch der Blick schreibt in einem Artikel: Der Tod des Jugendlichen habe am Sonntagabend heftige Unruhen im Lausanner Stadtteil Prélaz ausgelöst, wo ihn fast alle kannten. Mindestens hundert Jugendliche hätten ihrem Ärger Luft gemacht. Die Polizei habe daraufhin mit Gummigeschossen und Tränengas reagieren «müssen».
Allenfalls bin ich hier auch angesichts der heutigen Nachrichten voreingenommen, doch ich hätte mir einen anderen Fokus gewünscht. Zumal schon nur im Kanton Waadt in den letzten fünfzehn Jahren mindestens sieben Personen bei einem Polizeieinsatz ums Leben kamen, wie 24 heures berichtet.
Rassistische Polizeigewalt · Bericht von Border Forensics
Neue Erkenntnisse im Fall von Nzoy

Roger «Nzoy» Wilhelm starb durch die Polizei. Er wurde keine 40 Jahre alt. (Foto: Nzoy Commission)
Es war der 30. August 2021. Der damals 37-jährige Roger «Nzoy» Wilhelm fuhr wohl in einer psychotischen Episode nach Morges im Kanton Waadt. Nachdem er auf den Bahngleisen im Bahnhof umhergeirrt war, wurde er von einem Polizisten erschossen.
Nzoy war Schwarz. Seine Tötung löste schweizweit Protestwellen gegen rassistische Polizeigewalt aus.
Vier Jahre später sind die genauen Umstände, die zu seinem Tod führten, immer noch nicht geklärt, berichtet Tsüri.ch. Gestern veröffentlichten Border Forensics und «Nzoy Commission» ihre Untersuchung des Vorfalles. Dabei werden die beteiligten Polizist:innen schwer belastet.
Border Forensics (BF) ist ein gemeinnütziger Verein, der Tathergänge mithilfe von Audio und Videoaufnahmen rekonstruiert, um Verantwortung bei Menschenrechtsverletzungen einzufordern.
In ihrem Bericht heisst es, Nzoy habe keine Gefahr für andere dargestellt und seine Erschiessung sei ungerechtfertigt gewesen. Sie kommen zu dem Schluss, dass die zuständigen Ermittlungsbehörden ihren Auftrag bisher in schwerwiegender Weise missachtet und ihre Verantwortung im Fall Nzoy vernachlässigt haben.
Mitte Mai wurde die Staatsanwaltschaft von einem Waadtländer Gericht angewiesen, die Untersuchung wieder aufzunehmen, wie die Republik berichtete. Der Staatsanwalt hatte die Untersuchung zuvor verfrüht abgeschlossen, was auf viel Unverständnis gestossen war.
Nun muss sich nicht nur der Polizist, der die Schüsse abgab, vor Gericht behaupten, sondern auch die weiteren anwesenden Polizist:innen. Diese haben, entgegen ihren eigenen Darstellungen, keine erste Hilfe geleistet, während der schwer verletzte Nzoy sechs Minuten am Boden lag.
Ob die Staatsanwaltschaft dieses Mal zum selben Schluss kommt wie Border Forensics, ist bislang offen.
Aufruf des Tages
Black Lives Matter
Nzoy ist kein Einzelfall.
Zuletzt erhielt der Fall von Michael Kenechukwu Ekemezie viel Aufmerksamkeit, der kurz nach seiner Festnahme zusammenbrach und verstarb. Er war ebenfalls Schwarz.
Die WOZ berichtete, wie die Waadtländer Staatsanwaltschaft zunächst angegeben hatte, dass es kein «Zu-Boden-Bringen oder einen Würgegriff durch die Einsatzkräfte» gegeben habe. Kurz darauf belegten Videoaufnahmen etwas anderes.
In dem Artikel der WOZ steht auch: «Seit 2016 starben im Kanton Waadt vier weitere Männer bei Polizeieinsätzen: Lamin Fatty, Hervé Mandundu, Mike Ben Peter und Roger «Nzoy» Wilhelm. Alle waren Schwarz. Zur Verantwortung gezogen wurde niemand.»
Wie viele Fälle von unberechtigter und rassistisch motivierter Polizeigewalt es in der Schweiz genau gibt, ist nicht bekannt.
Bis heute gibt es in der Schweiz keine unabhängige Ombudsstelle, welche Fälle von Polizeigewalt auf ihre Übereinstimmung mit den Grund- und Menschenrechten überprüft, schreibt die nichtstaatliche Organisation humanrights.ch. Das ist anders als in einem Grossteil aller europäischen Länder, die gemäss Amnesty International eine solche unabhängige Beschwerdestelle haben.
Deshalb: Black Lives Matter! Die Schweiz muss in Sachen Rassismus und rassistisch motivierter Polizeigewalt endlich aktiv werden.
Kurz-News (eine Insel der weniger emotionalen News)
Freiwilligenarbeit · Die Zahlen der Freiwilligenarbeit in der Schweiz seien stabil, berichtet SRF. Gemäss dem Freiwilligen Monitor Schweiz hätten sich die Zahlen bei der Freiwilligenarbeit wieder normalisiert, nachdem sie während Corona zurückgegangen waren.
Jurassischer Politiker · Der Politiker Martial Courtet will nun doch kandidieren, meldet SRF. Zuvor hatte sich Courtet auf Druck seiner Partei, der Mitte, zurückgezogen (ich berichtete). Jetzt will er als unabhängiger Kandidat in den Regierungsrat.
Darmkrebs · Das Universitätsspital Genf hat ein neues Verfahren entwickelt, mit dem sich Darmkrebs mithilfe einer Analyse des Stuhlgangs feststellen liesse. Dies berichtet die SDA. Das Verfahren könnte künftig womöglich das weitaus aufwendigere Verfahren einer Darmspiegelung ersetzen, da es in ersten Studien bis zu 90 Prozent der Darmkrebsfälle erkennt.
✅ To-Do Liste
Rassismussensible Sprache

Wörter haben Macht. Wie wir berichten, ist im Journalismus massgebend. (Foto: Unsplash)
Wenn es um die Berichterstattung rund um Rassismus geht, merke ich, dass ich viele Wissenslücken habe. Ich habe mich gestern zum Beispiel gefragt, was richtig ist: «rassistische Polizeigewalt» oder «rassistisch motivierte Polizeigewalt» – ich weiss es noch immer nicht.
Oft bin ich mir nicht sicher, was Selbst- und was Fremdbezeichnung ist. Wie man berichtet, ohne Stereotype und Narrative zu reproduzieren. Infolgedessen habe ich gestern viel herumgegoogelt auf der Suche nach vertrauenswürdigen Quellen.
Gefunden habe ich unter anderem diesen Leitfaden für einen rassismuskritischen Sprachgebrauch, herausgegeben vom AntiDiskriminierungsBüro Köln. Ausserdem das Glossar der Neuen deutschen Medienmacher*innen sowie viele Buchtipps, denen ich mich in den nächsten Wochen widmen werde.
Falls du auch etwas empfehlen kannst (vorzugsweise etwas, worauf ich von Kolumbien aus zugreifen kann), gerne her damit!
🎲 Rätsel zum Schluss
Errate im 6iBrief Rätsel das gesuchte Wort in höchstens sechs Versuchen. Jeden Tag gibts ein neues Wort zu erraten.
Das Wochenthema: Sport
So funktioniert es:
Du gibst ein Wort ein.
Grün: Buchstabe ist richtig und am richtigen Ort.
Orange: Buchstabe ist im Wort, aber an der falschen Stelle.
Grau: Buchstabe kommt im Wort nicht vor.
Viel Spass beim Knobeln!
Tschüss!
Sofie